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Samstag, 18. Dezember 2010

Also doch Computer-Grenadiere

Da sassen wir also jüngst am Sonntagmorgen im UOV-Eigenheim und taten, was wir dort immer tun: Wir bereicherten den Apéro mit angeregten Gesprächen. Es ging wie oft um den Fortbestand der Armee. Wir - patriotisch gesinnte Senoren des UOV - waren im Klaren, einen Fortbestand unserer Armee wird nur mit einem realisitschen Feindbild gesichert. Dieses war zum Zeitpunkt unserer Diskussion nicht vorhanden, denn keine Mensch nahm die ersten Meldungen über Wikileaks ernst. Als Schnapsidee wurde daher meine Forderung abgetan, halt Bataillone mit Computer-Grenadieren zu bilden. Sie wären wohl das einzige das man neben technischen Truppen (Lawinen-Niedergänge, Hochwasser, Erdbeben usw.) wirklich brauchen könnte.

Und nun das: Die Basler Zeitung vom Freitag porträtiert Divisionär "Kurt Nydegger verteidigt die Schweiz gegen Attacken aus dem Cyberspace". Unter dem Titel "Der James Bond des Internet" bietet das Blatt eine süffige Geschichte, die zeigt, dass der Zweite Weltkrieg wirklich vorbei ist.
 
Bis Ende 2011 muss Kurt Nydegger dem Bundesrat eine Strategie zum Schutz ziviler und militärischer Elektronik vor Angriffen aus dem Internetvorlegen. Ein Besuch beim Divisionär des Cyberwar.

Sein Name ist Nydegger. Kurt Nydegger. Nie käme es dem Divisionär allerdings in den Sinn, sich mit James Bondzu vergleichen. Der gefitzte britische Sonderagent Ihrer Majestät, der sich noch verteidigt, wo andere längst die Waffen strecken, pflegt seinen Job mit blasierter Noblesse zu erledigen. Nydegger (59), der uns in seinem Büro mit einem milden Lächeln begrüsst, hat nichts von einem Haudegen.

Sein Arbeitsplatz in der Führungs-Unterstützungsbasis der Armee in einem Industriepark ausserhalb Berns ist bescheiden eingerichtet. Standarte und Zimmerpflanze stehen neben dem Pult, als hätte eine Dienstvorschrift das so befohlen. Bevor der Fotograf abdrückt, greift Nydegger zur Schere und schneidet kurzentschlossen ein paar welk gewordene Blätter weg.

Man ahnt: Vor uns steht kein Kraftmeier – aber auch kein Typ, der am Feierabend zärtlich das Bürogrün streichelt, bevor er das Licht löscht. Er trägt einen martialisch wirkenden Kampfanzug und schweres Schuhwerk, obwohl wir uns nicht im Felde treffen, sondern in einem gut geheizten Raum.

Das irritiert – und hat doch seine Logik. Der Mann, vor einer Woche vom Bundesrat zum Projektleiter für Cyber Defense (Stichwort unten) der Eidgenossenschaft ernannt, steckt in der Uniform, weil er einen Kampf ausficht. Einen Kampf gegen einen Feind, der überall und nirgendwo sitzt, den man schwer fassen und kaum besiegen kann. Nydegger kämpft gegen Aggressoren, die das Internetnicht nur für kriminelle, sondern auch nachrichtendienstliche, militärische oder terroristische Ziele missbrauchen.

ANGRIFF AUF SERVER. Der Kampf im Netz – er wird leise und ohne Blutvergiessen, aber tagtäglich geführt. Kürzlich hat Armeechef André Blattmann an einer Tagung den Cyberwar als «aktuell gefährlichste Bedrohung» bezeichnet. 2009 beispielsweise wurde das Aussenministerium Opfer einer Attacke: Tagelang waren die Computersysteme im Bundeshaus West lahmgelegt. Experten vermuten, ein staatlicher Geheimdienst könnte dahintergesteckt haben. Man wähnte den Urheber in China. Geklärt worden ist der Fall bis heute nicht – so wie viele ähnliche Angriffe auf Server bei Behörden oder in der Privatwirtschaft.

Es sind Fälle, die sich in Zukunft wieder ereignen werden, aber vielleicht dank besseren Schutzmassnahmen leichter abgewehrt werden könnten – es sind Fälle für den schweizerischenJames Bond desInternet: Kurt Nydegger. Den hohen Militär sollte man nicht unterschätzen. Hinter der Brille funkeln wache Augen. Es sind die Augen eines technisch Versierten.

Nydegger hat sich zum Elektroingenieur ausbilden lassen. Er wirkte in der Forschungsabteilung der ehemaligen Telegrafenwerkstätte Hasler AG in Bern, bevor das Verteidigungsdepartement sein Arbeitgeber wurde. Jahrelang hat er die Abteilung Elektronische Kriegführung der Armee geleitet. Seine Mitarbeiter in der Führungs-Unterstützungsbasis bauen jeweils beim World Economic Forum in Davos Funknetze für die militärischen und zivilen Sicherheitskräfte auf.

Sie wissen, wie die Schweizer Botschaften im Ausland mit der Zentrale in Bern notfalls via Kurzwelle kommunizieren können, wenn mal ein Satellit ausfallen sollte. Sie horchen mit riesigen Richtantennen der Abhöranlagen im bernischen Zimmerwald oder in Leuk im Wallis den globalen ausländischen Satelliten-Datenverkehr ab und geben die ausgewerteten Informationen an den Nachrichtendienst weiter. Seine Kryptologen helfen mit, heikle Depeschen der Bundesverwaltung zu verschlüsseln, bevor sie in die Welt hinausgejagt werden. Nydeggers Truppe versteht ihr Handwerk.

Strategie. «Ein Journalist kritisierte, der Bundesrat hätte gescheiter einen jungen Hacker zum Projektleiter ernannt, statt ausgerechnet mir den Auftrag zu geben», konstatiert der Mann, der morgen Samstag seinen 60. Geburtstag feiert und «in zwei bis drei Jahren» in Pension gehen will: «Aber ich bringe sehr viel Erfahrung mit, und diese ist für die Projektleitung zwingend.»

Jetzt hat Nydegger ein Jahr Zeit, die zwölf verschiedenen Amtsstellen des Bundes, die sich derzeit mit Internetsicherheit befassen, unter einem Dach zu vereinen. Er muss auch eine Strategie zur Abwehr elektronischer Attacken gegen zivile und militärische Stellen entwerfen. Selber präventiv elektronische Angriffe gegen ausländische Staaten führen darf die Schweiz in Friedenszeiten nicht – es fehlen die gesetzlichen Grundlagen.

Agentenromantik kommt bei Nydeggers Tätigkeit keine auf. «Es geht um trockene, aber hochinteressante Technik», sagt der gebürtige Thuner.

Seine Abteilung lebt bereits vor, wie die Internetsicherheit trotz Firewalls und Passwortschutz verbessert wer- den kann. Nydegger trägt eine kleine Karte auf sich. «Swiss Defence Public Key Infrastructure» steht darauf. Ein integrierter Pin gleicht beim Einloggen die gespeicherten Daten und Zugriffsberechtigungen mit denjenigen auf dem Server ab. Ein System mit Zukunftspotenzial. Wireless Lan gibts dafür im ganzen Gebäude keines – «das kann man viel zu einfach knacken», sagt Nydegger trocken.

grundsatz. Wird man künftig in ganz heiklen Kommunikationsfällen wieder auf Brieftauben zurückgreifen oder Nachrichten morsend übermitteln, statt dazu das löchrige weltweite Netz zu benutzen? Nydegger lächelt. So können nur Laien fragen. «Sicher nicht. Aber es gibt einen einfachen Grundsatz: Wichtige Dokumente sollten niemals auf der Harddisk des Computers oder im Netz, sondern nur auf einem persönlichen mobilen Medium gespeichert werden.»

Wo nichts ist auf der Festplatte, da kann auch nichts geklaut oder zerstört werden.


Cyberspace, Cyberwar, Cyber-Vandalismus
DEFINITIONEN. Der Bundesrat will die Schweiz besser schützen vor Angriffen aus dem Cyberspace, dem weltumspannenden elektronischen Netz des Internet. Die Einsetzung von Kurt Nydegger als Projektleiter für Cyber Defense des Bundes erfolgte kurz nach der Wikileaks-Affäre: Hacker hatten aus Protest gegen die Schliessung der Wikileaks-Homepage Seiten der Schweizer Post und von Kreditkarten-Unternehmen lahmgelegt. In einigen Medien war darauf von «Cyberwar» die Rede. Darunter verstehen Fachleute allerdings die höchste Eskalationsstufe in der elektronischen Kriegsführung: Dabei werden die elektronischen Systeme und Infrastrukturen und damit die politische Führung des Gegners lahmgelegt. Hacker-angriffe wie derjenige der Wikileaks-Aktivisten, bei denen Server durch Datenüberflutung vorübergehend ausser Betrieb gesetzt werden, zählen zum Cyber-Vandalismus. Mit Cyberspionage schliesslich werden vor allem Unternehmen geschädigt

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